Ein Röntgenbild für psychische Störungen?
Die Elektroenzephalografie (EEG, von griechisch Encephalon Gehirn, Graphien schreiben) ist eine Methode der medizinischen Diagnostik und der neurologischen Forschung zur Messung der summierten elektrischen Aktivität des Gehirns durch Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche. Das Elektroenzephalogramm (ebenfalls mit EEG abgekürzt) ist die grafische Darstellung dieser Schwankungen in der typischen Wellenform. Das EEG ist neben der Elektroneurografie (ENG) und der Elektromyografie (EMG) eine standardmäßige Untersuchungsmethode in der Neurologie. Ursache dieser Potenzialschwankungen sind physiologische Vorgänge an den Synapsen von Gehirnzellen, die durch ihre elektrischen Zustandsänderungen zur Funktionsweise des Gehirns entscheidend beitragen. Entsprechend ihrer spezifischen räumlichen Anordnung addieren sich die von einzelnen Neuronen erzeugten Potenziale auf, sodass sich über den gesamten Kopf verteilte Potentialänderungen messen lassen. Anhand der Form der Aufzeichnung können Neurologen z. B. epilepsietypische Muster erkennen oder andere für die Diagnostik relevante Eigenschaften des EEGs verwenden. Die quantitative Elektroenzephalografie ist eine Weiterentwicklung, die mittels EDV-technischer Verfahren der EEG-Daten weitere Schlüsse hinsichtlich von Störungen zulässt. Im Wesentlichen werden hier die die Amplituden von Frequenzen mittels der schnellen Fouriertransformation gemessen und in Beziehung zueinander gesetzt. So haben z. B. quantitative EEG-Untersuchungen (QEEG) zu Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung gezeigt, dass eine von ADHS betroffene Person eine von der Norm abweichende Frequenzverteilung ihrer EEG-Wellen aufweist, was als Fehlregulation in der Selbstregulation des Gehirns angesehen wird und mittels operanter Konditionierung in eine gewünschte positive Richtung trainiert werden kann. Als Indikator für die Diagnose ADHS dient nach Monastra u. a. das Amplituden-Verhältnis genauer gesagt die sog. Power-Ratio der Theta- und Beta-Frequenzbänder der EEG-Wellen. Falls der Quotient Theta/Beta-Amplitude oder Power mehr als 1,5 Standardabweichungen gegenüber dem Mittelwert der gleichaltrigen Vergleichsgruppe nach oben abweicht, kann ADHS mit einer 86-prozentigen Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden, und weniger als 2 % der mit dieser Diagnosemethode identifizierten Fälle werden unzutreffend diagnostiziert. Eine Metastudie aus dem Jahr 2009 (15 Studien mit 1194 Studienteilnehmern) kommt zu dem Ergebnis, dass ADHS wirksam mit Neurofeedback behandelt werden kann. In dieser Metastudie erreichten die Neurofeedbackgruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine mittlere bis große Effektstärke (ES) in Bezug auf die Kernsymptome Unaufmerksamkeit (ES 0.81) und Impulsivität (ES 0.69) sowie eine mittlere ES in Bezug auf die Hyperaktivität (ES 0.40). Neuere mathematische Verfahren bieten auch gute Modelle, mit welchen auch auf die Aktivität von tieferliegenden Strukturen geschlossen werden kann (LORETA = Low Resolution Electromagnetic Tomography Analysis). Im Rahmen der Spektralanalyse wird für jedes Frequenzband die Power berechnet, diese bezeichnet die Amplitude des entsprechenden Bandes (hier das mathematische Quadrat zur Amplitude).
Die Amplitude des jeweiligen Frequenzbandes verändert sich über das Alter sowie bei verschiedenen Zuständen der Wachheit, bzw. mentaler und kognitiver Aktiviertheit charakteristisch. Aus Veränderungen in diesen Verteilungen können entsprechende Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Gehirns oder gewisser Gehirngebiete gezogen werden. Die neuere Forschung zeigt, dass auch andere Dysfunktionen, wie Schizophrenie, Zwangsstörungen, Depression, Angststörungen, spezifische Lernstörungen und andere mit spezifischen Mustern der Aktivierung assoziiert sind und deswegen eine hohe Aussagekraft besitzen.
Die durch die EEG-Messung erhobenen EEG-Werte können mit einer normativen Datenbank verglichen werden (z. B. QEEG-Pro von Brainmaster oder Neuroguide von Applied Neurosciences Inc.). Durch Vergleich der Daten mittels parametrischer statistischer Verfahren können die Unterschiede der klinischen Symptomatik zu deren entsprechenden alters angepassten Referenzgruppe berechnet werden. Diese Computeranalyse dient dann als wertvolles Hilfsmittel, um die Diagnose zu untermauern und die Therapie zu planen.
Die folgende Tabelle zeigt die für das EEG übliche Einteilung der Frequenzen:
Frequenzband | Hertz |
Delta | 0.1 – 4 |
Theta | 4 – 8 |
Alpha | 8 -12 |
Beta | 13 – 30 |
Gamma | 35 – 42 |
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Durchführung der QEEG-Aufzeichnung und Analyse
Das EEG wird für das QEEG an 19 Elektrodenpositionen (Fp1, Fp2, F7, F3, Fz, F4, F8, T3, C3, Cz, C4, T4, T5, P3, Pz, P4, T6, O1, O2) aufgezeichnet, dazu werden handelsübliche EEG-Verstärker verwendet. Für die Neurofeedback-Therapie werden jedoch meist Kombinationsgeräte verwendet, die neben der Aufnahme der EEG-Daten auch ein Training des EEGs ermöglichen. Die Daten der EEG-Messung werden dann mit einer Datenbank verglichen. Hier werden zusätzlich Z-Scores berechnet. Berechnet werden jeweils absolute und relative Powerspektren. Relative Powerwerte geben die relative Power des Frequenzbandes im Verhältnis zur Power der anderen Frequenzbänder an. Da im Bereich der absoluten Power starke interindividuelle Unterschiede bestehen, werden bei entsprechenden Symptomen von der Norm abweichende Werte gefunden. Hier liefert das relative Powerspektrum zusätzliche, für die Interpretation der Befunde hilfreiche Informationen darüber, ob das Verhältnis der verschiedenen Frequenzbänder zueinander (intraindividuell) von diesem Verhältnis in der Normpopulation abweichend ist.
In den Frequenzspektren werden Z-Werte dargestellt. Z-Werte zwischen -1 und +1 (also innerhalb von einer Standardabweichungen des Normspektrums) werden nicht differenziert und erscheinen weiß. Ist der Unterschied zur Norm grösser als eine Standardabweichung, werden farbliche Abstufungen erkennbar. Weiter wird die Amplitudenasymmetrie zwischen verschiedenen Elektrodenpositionen berechnet und mit dieser Asymmetrie in der Norm verglichen. Von besonderem Interesse sind hier Auswertungen der Kohärenz – also der Phasenbeziehung zweier Ableitungen zueinander. Diese Werte geben Auskunft über das Maß der Netzwerkzusammenarbeit innerhalb näherer oder entfernterer Neuronenverbänden. Berechnet wird die Kohärenz zwischen den verschiedenen Elektrodenpositionen innerhalb eines Frequenzbandes. Ein hoher Kohärenzwert bedeutet, dass ein starker Zusammenhang zwischen der Phase einer Frequenz an einer Elektrodenposition und der Phase dieser Frequenz an einer anderen Elektrodenposition besteht. Blaue Linien beschreiben Areale mit niedriger Kohärenz, rote Linien beschreiben Areale mit hoher Kohärenz.
Spektralanalyse des EEGs mit geschlossenen Augen und geöffneten Augen. Das Gehirn zeigt unterschiedliche Aktivitäten, je nachdem ob die Augen geöffnet oder geschlossen sind. Der größte Unterschied besteht in der Amplitude (Power) der Alphawellen, die in der Regel deutlich erhöht sind sobald die Augenlider geschlossen sind. Beim Öffnen der Augen verringert sich die Amplitude von Alpha und geht zurück auf das ursprüngliche Niveau. Die Forschung zeigt, dass dieses Phänomen einer gesunden Reaktion entspricht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Manchmal zeigen sich Auffälligkeiten nur unter der Bedingung geschlossener Augen, manchmal nur unter der Bedingung geöffneter Augen, meist jedoch findet man Muster von Dysregulation in beiden Konditionen.
QEEG und EEG-Phänotypen
Auswahl von EEG-Phänotypen u. a. nach J. Gunkelman, M. Arns und andere
- Langsame und schnelle Wellen-Aktivität;
- Schnelle und langsame Wellen gemischt;
- Fokale Abnormitäten;
- Frontallappen-Störungen;
- Frontale Asymmetrien;
Langsame und schnelle Wellen
Der generelle Erregungsgrad des Gehirns hat seinen Ursprung im aufsteigenden retikulären Aktivierungssystems (ARAS), welches das weitschweifige thalamische Projektionssystem stimuliert. Mit verringerter Vigilanz ist eine Verlangsamung der Alpha-Frequenz gegeben, womöglich auch ein Ansteigen in generalisierter dysrhythmischer langsamer Aktivität. Bei einem Ansteigen des ZNS-Aktivationsgrades kommt es zu einem Anstieg der dominanten Alpha-Frequenz und zu einem Absinken von langsamer Wellenaktivität.
Es kann zu Mustern weit verbreiteter langsamer Aktivität kommen, aber auch zu gemischten Mustern von langsamer und schneller Aktivität. Ein normaler dominanter Alpha-Rhythmus ist bei 10 Hz angesiedelt. Wenn der Wert für Alpha größer als –2 Z-Werte beträgt, spricht man von einem abnormalen niedrigfrequentem Alpha. Diese Einstellung des Gehirns ist entscheidend für seine Funktion in Punkto Intelligenz und Gedächtnis. Giannitrapani, 1985 and Klimesch, 1999.
Fokale Abnormitäten
Bereiche „abgeschalteter“ Gehirnaktivität aufgrund von Tumor, Entzündung, Schlaganfall, SHT, nach Gehirnwäsche, Medikamente usw.
Frontallappensyndrome
Die Frontallappen hemmen abnorme Impulsivität und steuern Affektivität und Aufmerksamkeitsprozesse. Sie üben starken Einfluss auf den Tonus des sensomotorischen Streifens aus. Verbindungen zu inhibitorischen Steuerungsschleifen, mittels subkortikaler Strukturen (Basalganglien). Die Frontallappen üben generelle regulatorische Kontrolle über den gesamten Rest des Gehirns aus. Störungen in Bezug auf Affektivität oder motorischer Steuerung haben zentralen Bezug zu den Frontallappen. AD(H)S und affektive Störungen zeigen sich mitunter deutlich in QEEGs.
Frontale Asymmetrien
Depressionsmarker: Rechtshemisphärisches Beta größer als links Linkshemisphärisches Alpha größer als rechts (Rosenfeld, 1977) Exzessives rechtshemisphärisches Alpha geht indiziert Angst oder agitierte Depression.
Biomarker – Korrelation zur Symptomatik, sichtbar im QEEG
Die beschriebenen Auffälligkeiten im EEG lassen sich mit den quantitativen Methoden recht gut darstellen. Die Abweichungen sind als Muster im QEEG meist klar erkennbar und lassen in der Regel eine Korrelatin zur jeweiligen Symptomatik erkennen.
Auswahl bekannter EEG-Biomarker:
Frontallappenverlangsamung
Amplituden von langsamen Frequenzen im Frontallappen deutlich erhöht. Klinik: Depression, Störung der exekutiven Funktionen, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Fokussierproblematik, Lernstörung, Persönlichkeitsstörungen.
Beta Asymmetrie
Beta-Amplituden in der rechten Hemisphäre erhöht, bzw. in der linken Hemisphäre vermindert.
Klinik: Depression, Angststörungen, Störung der exekutiven Funktionen
Posteriores Beta
Hohe Betaamplituden in Bereich des Hinterkopfes. Klinik: Schlafstörung, Gedankenkreisen, Ängste, Zwangsströrung, Kopfschmerz, Schmerz
Niedrige Alpha Peak Frequenz
Alpha hat in der Regel bei Erwachsenen die höchste Amplitude (Peak) bei 10 Hz. Wenn Alpha z. B. bei 8 Hz „peak“ dann ist dies meistens mit erheblichen kognitiven Leistungseinbußen verbunden.