Wie Neurofeedback Schlaganfall-Patienten helfen kann

Der 73-jährige Karl B.[1] ist ein rüstiger Mann, er steht mitten im Leben, ist gebildet und aktiv, und war in seinem früheren Leben tätig u.a. als Chirurg, Pilot und Koch. Eines Tages bekommt er die erschreckende Diagnose: Schlaganfall. Die Auswirkungen sind verheerend – eine Hemiparese (teilweise Lähmung einer Körperseite) wird festgestellt, ferner kommt es zum Verlust des Tastsinns, zu Sprach- und Gedächtnisstörungen.

Laut einem WHO-Bericht aus dem Jahre 2017 starben 2015 etwa 6,7 Millionen Menschen an den Folgen eines Schlaganfalls. Diejenigen, die ihn überleben, müssen unter Umständen mit den Folgen leben lernen. Wie bei Karl sind Beeinträchtigungen im kognitiven und motorischen Bereich extrem häufig und langanhaltend, wie aus zahlreichen Studien hervorgeht.[2]

Das Gehirn ist ein kompliziertes Netzwerk aus Neuronen, deren Zusammenspiel die Wissenschaft bis heute noch nicht vollständig entschlüsselt hat. Ein Ereignis wie der Schlaganfall kommt also einem Flächenbrand gleich – die Schädigungen betreffen oft mehrere Areale des Gehirns und sind nicht selten irreparabel.

Aber es gibt Hoffnung. Die Fähigkeit des Organismus, sich selbst praktisch „neu zu organisieren“ und sich neu zu regulieren, wird vor allem von einer der innovativsten und vielversprechendsten Methoden genutzt: dem Neurofeedback.

Wissenschaftlich gesprochen ist Neurofeedback ein geschlossenes Regelkreis-System, das Echtzeitinformationen über die eigene Gehirnaktivität misst, um den Vorgang der Selbstregulation anzuregen. Als Grundlage dient das EEG, welches durch die Rückmeldung und Verstärkung günstiger Gehirnströme, eine Verringerung der Fehlregulation ermöglicht.

Beim Neurofeedback wird per Elektroden auf der Kopfhaut ein EEG des Gehirns aufgezeichnet. Dieses EEG zeigt anhand von Frequenzmustern, was im Gehirn passiert. Mithilfe von speziellen Analysetechniken können schwache Regionen identifiziert werden und die Dysregulation relativ genau verortet werden. Ist das Problem entdeckt, kann die Behandlung, beginnen. Diese Methode nennt sich quantitatives EEG (QEEG, Brainmapping) und zeigt verlässlich, welche Bereiche nicht optimal arbeiten.

Hierzu sitzen die Patienten beispielsweise vor einem Bildschirm, auf dem ein Feedback-Signal gezeigt  wird. Karl sieht sich einen spannenden Spielfilm an, das EEG-Signal mit den Werten wurde indes in Echtzeit ins System eingespeist. Erkannte das Programm eine Abweichung von den Soll-Werten, wurde der Bildschirm schwarz und der Ton leiser. Konnten die Soll-Werte erreicht werden, hellte das Bild auf und der Ton war wieder gut hörbar. So etwas nennt man „Operantes Konditionieren“, oder in dem Fall die „positive Verstärkung“. Denn je mehr Hirnsignale mit einer günstigen Charakteristik sich durchsetzen lernen, desto schneller kommt die Selbstregulation in Schwung.

Was passiert hier? Ganz einfach: Das Gehirn schaut in den „Spiegel“. Es beobachtet sich selbst bei der Arbeit. In diesem Beispiel ist es ein Videospiel. Die günstigen Hirnwellen lassen das Flugzeug in eine ganz bestimmte Richtung fliegen und das Ziel wird erreicht. Der Flug durch den Zielring erzeugt ein kleines Glücksgefühl und lässt mehr und mehr günstige Hirnaktivität entstehen.

Für Karl war Neurofeedback eine ideale Ergänzung im Rehabilitations-Prozess. Zwar konnte er mehrere Wochen nach dem Schlaganfall Teile seiner Fähigkeiten wieder zurückgewinnen – so machte er Fortschritte in der Motorik und im Sprechen – dennoch litt er nach wie vor an einer Alexie, d.h. einem völligen Unvermögen zu lesen. Dabei war Karl ein leidenschaftlicher Leser und hatte eigentlich gehofft, seine Rente mit dem Wälzen von Büchern zu verbringen.

Mithilfe von Neurofeedback und dem dreidimensionalen Bildgebungsverfahren LORETA (Low Resolution Electromagnetic Tomography), konnte die Therapeutin schließlich seine Alexie lokalisieren und durch gezieltes Adressieren der entsprechenden sprachverarbeitenden Areale erfolgreich behandeln. Die Therapie verlief dabei auf zwei verschiedenen Ebenen:

Zwei Stunden pro Woche nahm Karl eine Neurofeedback-Trainingseinheit, die sich vor allem den geschädigten Hirnarealen und den Sprachzentren widmete. Nach zehn Sitzungen fokussierte sich das Training schließlich auf die Scheitellappen- und Frontallappen-Regionen.

Während der anderen Therapiestunden Woche erhielt Karl ein Training zur Förderung der kognitiven Fähigkeiten mit einem Neuropsychologen. Dies schloss Übungen im räumlichen Denken, das Lesen einzelner Buchstaben, ganzer Wörter und schließlich ganzer Sätze mit ein.

Das effektive Ineinandergreifen beider Herangehensweisen machte das scheinbar Unmögliche möglich: Nach nur zehn Wochen konnte Karl eine ganze Textseite mit mittleren bis größeren Buchstaben im gemäßigten Tempo lesen. Ein Blick in das quantitative EEG lieferte den Beweis: die betroffenen Temporal- und Okzipital-Areale waren nun wesentlich aktiver und deutlich stärker vernetzt. Sie konnten Informationen besser austauschen, während gleichzeitig die Störfaktoren in den Verarbeitungsprozessen reduziert wurden.

Neurofeedback als Chance für eine Medizin der Zukunft?

Neurofeedback erhält seit einiger Zeit verstärkten Einzug in die klinische Praxis. Immer mehr  erkennen das Potential dieser nicht-invasiven und dennoch sehr effektiven Behandlungsmethode. Karl ist nur einer von zahlreichen Fällen, denen mit Neurofeedback geholfen werden konnte.

IFEN

Das Institut für EEG-Neurofeedback wurde 2008 gegründet und ist heute eine der führenden Ausbildungsstätten für Neurofeedback in Deutschland. Der Sitz ist in München, Leiter ist Thomas Feiner, BCIA BCN QEEG-D. Er war einer der ersten Neurofeedback-Therapeuten in Deutschland. Sein Institut vernetzt Therapie und Forschung mit international anerkannten Wissenschaftlern und Experten. Er ist Vorstandsmitglied der größten internationalen Neurofeedback-Forschungseinrichtung mit Sitz in den USA, der Foundation for Neuromodulation and Neurofeedback Research (FNNR)


[1] Name geändert

[2] Bickerton et al., 2014; Demeyere, Riddoch, Slavkova,

Bickerton, & Humphreys, 2015;

Demeyere et al., 2016; Jaillard, Naegele, Trabucco-Miguel, LeBas,

& Hommel, 2009; Planton et al., 2012;

Verstraeten, Mark, & Sitskoorn, 2016