Evidenz von Methoden des Neurofeedbacks bei Epilepsie – SMR, SCP, ILF

Aktualisierter Stand: Juli 2025

  1. Einleitung

Neurofeedback ist eine nicht-invasive, therapeutische Methode des Biofeedbacks, bei der Patient:innen lernen, ihre eigene Gehirnaktivität, gemessen mittels Elektroenzephalogramm (EEG), willentlich zu regulieren. Durch operante Konditionierung erhalten sie in Echtzeit Rückmeldung über ihre Hirnströme und werden trainiert, gewünschte neuronale Muster zu fördern und unerwünschte zu hemmen. Insbesondere bei medikamentös therapieresistenter Epilepsie, von der etwa ein Drittel aller Patient:innen betroffen ist, hat sich Neurofeedback als vielversprechende komplementäre Behandlungsoption etabliert. Ziel dieses Berichts ist es, eine umfassende und aktuelle Übersicht über die evidenzbasierte Studienlage zu geben.

  1. Neurophysiologische Grundlagen: Warum SMR- und SCP-Training?

Die Wirksamkeit von Neurofeedback bei Epilepsie basiert auf gezieltem Training spezifischer EEG-Frequenzen, die mit der Regulierung der kortikalen Erregbarkeit in Verbindung stehen.

  • Sensomotorischer Rhythmus (SMR): Der SMR (12-15 Hz), der über dem sensomotorischen Kortex gemessen wird, ist mit einem Zustand ruhiger, wacher Aufmerksamkeit und motorischer Hemmung assoziiert. Die Forschung von Sterman et al. legte die Grundlage für die Hypothese, dass ein Training zur Erhöhung der SMR-Amplitude die thalamokortikalen Regelkreise stabilisiert. Diese Regelkreise wirken als „Torwächter“ (Gating-Mechanismus) für sensorische und motorische Signale zum Kortex. Ein gestärkter SMR verbessert diese Filterfunktion und erhöht die Schwelle für eine anfallsartige, hypersynchrone Entladung von Neuronen.
  • Langsame kortikale Potenziale (Slow Cortical Potentials, SCPs): SCPs sind langsame Gleichspannungsverschiebungen im EEG, die die allgemeine Erregbarkeitsschwelle von kortikalen Neuronen widerspiegeln. Negative SCPs sind mit einer erhöhten neuronalen Aktivierung und Erregbarkeit verbunden, während positive SCPs mit einer Hemmung und reduzierten Erregbarkeit einhergehen. Das SCP-Training zielt darauf ab, dass Patient:innen lernen, ihre kortikale Erregbarkeit willentlich zu senken (d.h. in eine positivere Richtung zu verschieben), um so die Wahrscheinlichkeit einer Anfallsauslösung proaktiv zu reduzieren.
  1. Evidenz aus Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen

Diese Arbeiten fassen die Ergebnisse mehrerer Einzelstudien zusammen und bilden die höchste Stufe der wissenschaftlichen Evidenz.

  • Meta-Analyse (2009) – Der Grundstein:
  • Quelle: Tan, G., et al. (2009). Meta-Analysis of EEG Biofeedback in Treating Epilepsy. Clinical EEG and Neuroscience, 40(3), 173–179.
  • Zusammenfassung: Diese wegweisende Meta-Analyse untersuchte 10 Studien mit Patient:innen, deren Anfälle durch Medikamente nicht kontrolliert werden konnten. Die Analyse ergab eine signifikante Reduktion der Anfallshäufigkeit. 74 % der Patient:innen berichteten über eine Abnahme der wöchentlichen Anfälle.
  • Systematischer Review (2022) – Der aktuelle Stand:
  • Quelle: Enriquez-Geppert, S., et al. (2022). The contribution of neurofeedback to the treatment of epilepsy: A systematic review of the literature. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 141, 104825.
  • Zusammenfassung: Dieser neuere, umfassende Review bestätigt die positiven Effekte von SMR- und SCP-Neurofeedback. Er unterstreicht jedoch auch die Notwendigkeit für mehr qualitativ hochwertige, randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) mit aktiven Kontrollgruppen.
  1. Evidenz aus Schlüsselstudien zu etablierten Protokollen
  • SMR-Neurofeedback: Die Pionierarbeit:
  • Quelle: Sterman, M. B., & Egner, T. (2006). Foundation and practice of neurofeedback for the treatment of epilepsy. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 31(1), 21–35.
  • Zusammenfassung: Diese Übersichtsarbeit von Sterman, dem Pionier des SMR-Trainings, fasst die neurophysiologischen Grundlagen und die klinische Forschung zusammen und untermauert den Status des SMR-Neurofeedbacks als fundierte und praktikable Alternative.
  • SCP-Neurofeedback: Der Nachweis der Langzeitwirkung:
  • Quelle: Strehl, U., et al. (2014). Sustained Reduction of Seizures in Patients with Intractable Epilepsy after Self-Regulation Training of Slow Cortical Potentials – 10 Years After. Frontiers in Human Neuroscience, 8, 604.
  • Zusammenfassung: Diese bemerkenswerte Langzeitstudie zeigte eine anhaltende und signifikante Reduktion der Anfallshäufigkeit fast 10 Jahre nach Abschluss eines SCP-Neurofeedback-Trainings, was die Nachhaltigkeit der Methode belegt.
  • SMR-Neurofeedback: Eine aktuelle randomisiert-kontrollierte Studie (RCT):
  • Quelle: Jiang, Y., et al. (2020). A randomized controlled trial of sensorimotor rhythm neurofeedback for drug-resistant epilepsy. Neurotherapeutics, 17(4), 2115-2124.
  • Zusammenfassung: Diese wichtige RCT zeigte in der SMR-Gruppe eine signifikant stärkere Reduktion der Anfallshäufigkeit (durchschnittlich -57,8 %) im Vergleich zur Placebo-Kontrollgruppe und zur Gruppe ohne Behandlung.
  1. Weitere klinisch relevante Protokolle: Der Fall des ILF-Trainings

Neben den gut untersuchten SMR- und SCP-Protokollen hat in der klinischen Praxis das Infra-Low Frequency (ILF) Neurofeedback, auch bekannt als Othmer-Methode, an Popularität gewonnen. Dieses Verfahren zielt auf die Regulierung extrem langsamer Hirnwellen im Frequenzbereich unter 0,1 Hz ab. Anwender berichten von positiven Effekten bei einer Vielzahl von Störungen, die mit einer Dysregulation des zentralen Nervensystems einhergehen, einschließlich Epilepsie.

Hinsichtlich der wissenschaftlichen Evidenz speziell für Epilepsie ist die Datenlage für das ILF-Training jedoch deutlich weniger robust als für die SMR- und SCP-Protokolle. Die vorhandene Literatur besteht überwiegend aus Fallberichten, Fallserien und retrospektiven Anwendungsbeobachtungen aus der klinischen Praxis. Diese berichten zwar häufig von signifikanten Anfallsreduktionen, ihnen fehlt jedoch die methodische Strenge von kontrollierten Studien. Bis heute (Stand Mitte 2025) gibt es keine publizierten, großangelegten randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs), die die spezifische Wirksamkeit des ILF-Neurofeedbacks bei Epilepsie im Vergleich zu einer Placebo-Bedingung oder etablierten Protokollen wie SMR-Training belegen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Während das ILF-Training ein in der Praxis verbreiteter Ansatz ist, steht der Nachweis seiner evidenzbasierten Wirksamkeit für die Epilepsiebehandlung nach den Kriterien der akademischen Medizin noch aus.

  1. Prädiktoren für den Therapieerfolg

Ein wichtiger Forschungszweig ist die Frage, welche Patient:innen am meisten von einer Neurofeedback-Therapie profitieren.

  • Quelle: Kotchoubey, B., et al. (1999). Negative potential shifts and the prediction of the outcome of EEG-biofeedback in epilepsy. Clinical Neurophysiology, 110(4), 683–686.
  • Zusammenfassung: Diese frühe Studie fand heraus, dass die Fähigkeit, kortikale Potenziale gezielt in eine hemmende (positive) Richtung zu verschieben, entscheidend für den Therapieerfolg ist, während eine bereits bestehende Tendenz zur Übererregung ein negativer Prädiktor sein kann.
  1. Limitationen und Ausblick

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse muss die Evidenzlage kritisch betrachtet werden:

  • Methodische Heterogenität: Studien verwenden oft unterschiedliche Protokolle, was Vergleiche erschwert.
  • Kleine Stichproben: Viele ältere Studien haben nur eine geringe Teilnehmerzahl.
  • Kontrollgruppen: Es fehlt an Studien, die Neurofeedback mit einer überzeugenden „Schein“- oder Placebo-Bedingung vergleichen. Der RCT von Jiang et al. (2020) ist hier eine wichtige Ausnahme.
  • Standardisierung: Für eine breite klinische Anwendung ist eine stärkere Standardisierung der Trainingsprotokolle erforderlich.

Der Ausblick ist dennoch positiv. Zukünftige Forschung wird sich auf größere, multizentrische RCTs, die Kombination mit bildgebenden Verfahren (z.B. fMRT) und die Entwicklung personalisierter Trainingsprotokolle konzentrieren.

  1. Zusammenfassung der Evidenz
  • Starke Evidenz für etablierte Protokolle: Neurofeedback (insbesondere SMR und SCP) ist eine wissenschaftlich fundierte Therapiemethode zur Reduktion der Anfallshäufigkeit bei Epilepsie.
  • Besondere Eignung: Die Methode zeigt ihre größte Stärke bei Patient:innen mit pharmakoresistenter Epilepsie.
  • Nachhaltige Effekte: Langzeitstudien belegen, dass die erlernten Selbstregulationsfähigkeiten über viele Jahre anhalten können.
  • Wachsender Forschungsstand: Neuere, methodisch hochwertige Studien wie RCTs stärken die Evidenzbasis kontinuierlich.
  • Bedarf an weiterer Forschung: Trotz der Erfolge sind weitere großangelegte Studien notwendig, um die Methode endgültig im klinischen Mainstream zu etablieren und auch neuere Protokolle wie das ILF-Training wissenschaftlich zu validieren.
  1. Wichtige Institutionen und Fachleute
  • Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Universität Tübingen (Prof. Ute Strehl, Prof. Boris Kotchoubey)
  • Department of Neurobiology, UCLA (Prof. M. Barry Sterman – emeritiert)
  • Deutsche Gesellschaft für Biofeedback (DGBfB) e.V.
  • International Society for Neuroregulation & Research (ISNR)

 

Thomas F. Feiner, QEEG-D, BICA OT

Direktor des Instituts für EEG-Neurofeedback

QEEG-D, BCIA

www.neurofeedback-info.de

info@neurofeedback-info.de

004915154603928