Thomas Feiner

Interview mit Rémi Chaussenot, einem französischen Neurofeedback-Aktivisten

Bevor wir anfangen, wie geht es Ihnen?

Ich freue mich auf meine Reise zur Transformational Technology Conference in San Francisco. Kalifornien ist ein Ort, an dem die Menschen neuen Technologien wie Neurofeedback gegenüber sehr aufgeschlossen sind.

Bei dieser Konferenz geht es um Perspektiven, Visionen und Möglichkeiten. Ich treffe dort viele Menschen, die ähnlich denken wie ich. An solchen Orten fühle ich mich sehr wohl.

Könnten Sie sich in ein paar Sätzen vorstellen?

Ich bin Direktor des Instituts für EEG-Neurofeedback in Deutschland, das ich 2008 gegründet habe. Das IFEN (Institut für EEG-Neurofeedback) bietet professionelle Ausbildungen an und organisiert internationale Konferenzen für Neurofeedback-Behandlung, Brain Mapping/QEEG, ERP, Resilienz und Meditation.  Wir haben eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung, genannt IFEN Neuroscience. Es ist auch ein Art Thinktank in der unsere Innovationen für eine neue Art von Neurofeedback entstehen.

Ich bin Referent und Dozent bei zahlreichen Veranstaltungen wie dem Interamerikanischen Psychologiekongress, der Internationalen Gesellschaft für Neurofeedback und Forschung (ISNR), der Internationalen Organisation für Psychophysiologie (IOP) und der American Association of Psychophysiology (AAPB). Dazu bin ich im Vorstandsmitglied der FNNR (Foundation for Neurofeedback and Neuromodulation Research welche sich mit der Förderung der Forschung Das IFEN arbeitet mit mehreren Universitäten zusammen (Pennsylvania, Salamanca, South Carolina). Wir veröffentlichen arbeiten derzeit intensiv

Neuen Protokollen für das  Z-Werte-Training, an  ereigniskorrelierten Potenzialen (EKPs) und ereignisbezogener Bildgebung. Kürzlich hatten wir ein neues Protokoll für für die langsamen kortikalen Potentiale herausgebraucht, welches nun auch auf der Brain-Avatar  Plattform läuft. Wie bereits erwähnt, habe ich „CAPITO“ (Cognitive and Psychophysiological Test Operations) entwickelt, eine Software für neurokognitive Tests, einschließlich ERPs und emotional evozierter Gehirnaktivierung.  

Im Bereich Feedback haben wir bereits mehrere  Feedback-Spiele in die Virtuelle REalität entwickelt und herausgebracht.

Wir haben in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Aber das war nur möglich, weil wir ein fantastisches Team haben und dadurch viele Möglichkeiten nutzen können.

Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselelemente von Neurofeedback?

Neurofeedback hat eine ganze Reihe von Entwicklungen durchlaufen. Es gibt nicht nur den einen Ansatz, denn es gibt keine „One Size Fits All“. Aus unserer Erfahrung müssen wir wissen, dass es nicht nur darauf ankommt, welchen Ansatz man verwendet, sondern auch darauf, wie man diesen Ansatz gemäß der Wissenschaft und der Erfahrung anwendet.

Neurofeedback hat auch ein neues Verständnis hervorgebracht, ein neues Paradigma, wie man Störungen betrachten kann. Es ist tatsächlich Teil eines Paradigmenwechsels zu sehen, wie Symptome mit elektrischen Gehirnaktivierungsmustern korrelieren. Aber das Spannendste ist: Mit Neurofeedback können diese elektrischen Muster verändert werden und mit diesem Prozess gehen auch Symptomverbesserungen einher. Wir sehen das jeden Tag in unserer Praxis. Und so viele Störungen sind einfach Problme, die im Gehirns ihren Ursache haben. Stichwort Dysregulation. Ein Mangel an Selbstregulation und Neurofeedback hilft dem Gehirn, seinen Weg zur verbesserten Selbstregulation zu finden.

Aber wir müssen herausfinden, wo im Gehirn die Disregulation stattfindet.

Lassen Sie mich also ein weiteres Schlüsselelement hinzufügen: Quantitatives EEG. Das ist ein echter Wendepunkt, der viele Türen öffnet. Aber es ist mit Vorsicht zu genießen, denn man braucht eine Menge Erfahrung und Wissen, um diese Informationen richtig zu nutzen.

Ein weiteres Schlüsselelement: Man muss viel wissen, um ein wirklich guter Kliniker zu werden, und man sollte nie aufhören zu lernen. Unsere besten Therapeuten haben viele Workshops besucht, an Mentoring und Supervision teilgenommen und kommen immer noch zu Workshops. Trotzdem können Sie auch nach einem unserer Anfänger-Workshops eine gute Arbeit leisten. Erfolgreiches Neurofeedback ist dann gegeben, wenn Sie gute Ergebnisse erzielen. Je besser man ist, desto weniger Sitzungen sind nötig.

Was halten Sie von diesen Forschern, die behaupten, dass Neurofeedback nur ein Placebo ist? Glauben Sie, dass Neurofeedback genauso wirksam und eine Alternative zu Ritalin oder Antidepressiva sein kann?

Darüber gibt es eine lange und wahrscheinlich nie endende Debatte. Aus der Placebo-Forschung wissen wir, dass Placebo-Effekte bei fast jeder Behandlung auftreten. Es könnte also durchaus sein, dass die Wirkungen bis zu einem gewissen Grad durch Placebo verursacht werden können. Aber wir haben zu viele Fälle, in denen Menschen behandelt werden, die nicht an die Behandlung glauben und denen es trotzdem besser geht. Vor allem bei Kindern, die nicht wissen, dass sie wegen einer Störung behandelt werden.  Ich habe über 20 Jahre Erfahrung als Kliniker. 15 Jahre lehre ich Neurofeedback und höre mir die großartigen Erfolgsgeschichten unserer vielen Schüler und Schülerinnen an. Niemand kann mir erzählen, Neurofeedback würde nicht funktionieren.

Was halten Sie von EEG-Assessments mit nur 2-Kanälen?

Jedes EEG-Assessment ist besser als gar kein Assessment. Aber eine sequenzielle Beurteilung kann zum Beispiel Daten zur Kohärenz vermissen lassen. Sie kann nicht dieselben Informationen liefern wie eine vollständige 19-Kanal-EEG-Auswertung mit Z-Scores. Mit 19 Kanälen kann man mit sLoreta auch in das Innere des Gehirns schauen, denn die Oberfläche verrät oft nicht, was im Inneren des Gehirns vor sich geht.  Es ist wie beim Lesen eines Buches. Je mehr Seiten, desto mehr Informationen.

Glauben Sie, dass dies funktionieren kann? Zum Beispiel bei Krankheiten wie ADHS oder Depression?

Ja, das kann funktionieren, wenn die Bewertung auf den spezifischen Bereich abzielt. Aber es könnte eine Menge Sitzungen erfordern. Wenn das Problem eher kohärenzbasiert ist, hilft es vielleicht nicht so gut, da das Kohärenztraining mehr als eine Elektrode benötigt. Es gibt jedoch zahlreiche Belege dafür, dass 1-Kanal-Training auch bei Depressionen und ADHS hilfreich ist. Bei komplexeren Symptomen haben wir jedoch festgestellt, dass es nicht allzu hilfreich ist. Man soll sich nicht festlegen. Der Reiz beim Neurofeedback ist, dass man immer den Ansatz ändern kann, wenn man merkt man kommt nicht weiter. 

Die Zukunft des Neurofeedbacks scheint jedoch auf dem Multi-Site-LORETA-System zu beruhen, wäre es da nicht besser, gleich in dieses System zu investieren?

Wie ich schon sagte, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, Neurofeedback anzuwenden, und viele Kliniker entscheiden sich, mit etwas Einfachem anzufangen und dann weiter zu gehen. In einer idealen Welt sollte jeder das Ziel haben, mehr und mehr qualifiziert und professionell zu werden. Mein eigenes Ziel war es immer, mehr über das Gehirn zu wissen und zu lernen und den Menschen mit erschwinglicher Technologie zu helfen. Ich habe mit einem 2-Kanal-System angefangen, dann hatte ich ein 4-Kanal-System, und danach hatte ich ein 19-Kanal-System mit allem, was derzeit an Technologie verfügbar ist. Ich will einfach das Beste für meine Patienten. Und ich bin sehr neugierig, weil mich die neuen Möglichkeiten einfach faszinieren. sLoretaTraining hat sich für uns als sehr effektiv erwiesen, insbesondere bei sehr hartnäckigen Schlafstörungen.

Bei IFEN entwickeln Sie andere Arten von Neurofeedback (Z-Score, EKPs), was bringt das?

Die Neurofeedback-Szene hat sich lange Zeit auf QEEG konzentriert, aber mit den ereigniskorrelierten Potenzialen haben wir eine sehr solide Grundlage, auf die sich viele Neurologen verlassen. Es ist akzeptiert, und auf der anderen Seite können uns ERPs sehr valide und wichtige Informationen über die Funktionsweise des Gehirns liefern, die uns QEEG nicht geben kann. Deshalb entwickelten wir ein Programm, mit dem diese Daten leicht abgerufen werden können. So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass sich EKPs schon sehr früh beim Ausbruch der Alzheimer-Demenz verändern. Viele Jahre bevor Alzheimer diagnostiziert werden kann. Somit kann früh in den Prozess eingreifen, bevor er unumkehrbar wird.

Was halten Sie von den Kosten für Neurofeedback, wenn Sie wissen, dass es mindestens 40 einstündige Sitzungen erfordert?

Die Diskussion ist so alt wie Neurofeedback. Ja, es gibt ein Kostenproblem. Und deshalb sind wir ständig auf der Suche nach effektiveren Neurofeedback-Ansätzen. Z-Score-Training kann sehr effektiv sein und mit ISF-Training haben wir auch einen sehr starken Ansatz mit einer starken Wirkung. Im Laufe der Jahre habe ich gesehen, dass mit den neueren Ansätzen nicht nur die Anzahl der Sitzungen abnahm, sondern auch die Wirkung stärker wurde. Die Leute  spüren die positiven Veränderungen. Manche Anbieter sind einfach nicht gut auf ihrem Gebiet, sie wissen nicht, wie man die Wege abkürzen kann. Das führt dann oft zu unnötigen Mehrbehandlungen. Deswegen halten wir es für wichtig, dass man sich ständig mit anderen austauscht und Fortbildungen besucht. Jedoch sind viele Patienten gerne bereit Zeit und Geld zu investieren, wenn sie spüren, dass es ihnen besser geht. Wir brauchen aber eine viel größere Akzeptanz bei Ärzten und Psychotherapeuten. Neurofeedback muss auch als Kassenleistung anerkannt sein. Am Ende spart es nämlich Kosten

Haben Sie schon vom Koala-System von Mensia Technology gehört, das behauptet, ein automatisches Neurofeedback-System zur Behandlung von ADHS zu Hause zu sein?

Ich habe davon gehört. Ja, es gibt viele Möglichkeiten für die Behandlung zu Hause. Aber die Veränderungen sind nie dieselben wie bei einem klinischen System, das von einem erfahrenen Arzt angewendet wird.

Haben Sie einen Rat für alle Franzosen, die Angst davor haben, sich mit Neurofeedback zu beschäftigen, sei es als Praktiker oder als Patient?

Es gibt überhaupt keinen Grund, Angst zu haben. Ich kann nicht verstehen, warum Kliniker sich weigern, mehr über das Gehirn zu lernen und ihren Klienten mit einem Ansatz wie Neurofeedback zu helfen, der sich als so viel effektiver erwiesen hat und bereits Tausenden von Klienten ohne bekannte Nebenwirkungen geholfen hat.

Welche Materialien würden Sie empfehlen?

Es gibt eine Menge guter Bücher:
Foundations of Neurofeedback von Thomas F. Collura, Handbook of Clinical QEEG and Neurotherapy von Thomas F. Collura, Getting Started with Neurofeedback von John Demos,
Doing Neurofeedback von Robert E.  Longo.

Und natürlich meinen Neurofeedback-Blog!

Haben Sie etwas hinzuzufügen?

Herzlichen Dank!